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Monday
Dec072020

Die Kunst von Christo und Jeanne-Claude

POR MARIA TERESA SANTORO DÖRRENBERG
2020

Image: Gertrude K.


Christo und Jeanne-Claude: Zu Ehren des Künstlerpaares wurden 2 Ausstellungen mit einer Retrospektive der Projekte von 1963 bis 2020 durchgeführt. Die erste findet im Palais Populaire in Berlin statt und endet am 14. September 2020. Sie präsentierte die Fotos der Verhüllungen und Projekte. Die zweite ist bis zum 19.10.2020 im Centre Pompidou in Paris zu sehen. Ein Beitrag von Maria Teresa Santoro Dörrenberg

Es war im Juni 1995. Zum Ende des Frühjahrs fuhr ich jeden Tag am Reichstag in Berlin vorbei im meinem alten roten Ford Corsa auf dem Weg zur Staatsbibliothek, in der ich gewöhnlich meine Tage mit dem Studieren von Kommunikation verbrachte. Es fing an mit ungewöhnlichen Aktivitäten rund um den Reichstag. Stahlträger und anderes Baumaterial wurden tagelang angeliefert und direkt neben dem Reichstag deponiert. An einem wolkigen Tag im gleichen Monat brachten riesige Sattelschlepper auch die Stoffe, mit denen das Gebäude verhüllt würden sollte, und parkten in der Umgebung. Ich fragte mich was da passierte mit dem Parlamentsgebäude, damals noch teils ohne Glas in den Fenstern, mit noch sichtbaren Kriegsschäden und ohne die Norman Foster Glaskuppel. In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal von dem Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude.

Ohne Internet und PC arbeitete ich damals mit einem steinalten Laptop, eine Leihgabe eines Freundes. Aber wir hatten Fernsehen, Radio und Telefon und nach und nach arbeitete ich mich in das Ereignis ein, dessen Zeuge ich gerade wurde: Die Verhüllung des verlassenen Reichstagsgebäudes. Ein Projekt, dessen Ursprungsidee Anfang der 70iger Jahre datiert und für dessen Genehmigung allein 7 Abstimmungen im Parlament erforderlich wurden bevor es letztendlich realisiert werden konnte. Die Arbeiten schritten voran. Unzählige Spezialisten arbeiteten an der Montage der das Gebäude schützenden Stahlstruktur, die später den Aluminiumfarben Polypropylen basierten Stoff tragen sollte. Nach Fertigstellung der Stahlstruktur betraten 90 junge australische Bergsteiger die Szene, verteilten die Stoffbahnen befestigten diese an der Struktur und verhüllten die Außenmauern des Gebäudes. Es war eine affenähnliche Darbietung, die die Aufmerksamkeit von jedem Passanten auf sich zog. An den Wänden hängend zogen sie Stoffe und Seile hoch und runter bis das Äußere des Parlaments komplett verhüllt war.

Zu Anfang der Arbeiten waren nur wenige Zuschauer vor Ort, neugierig wie ich selbst. Aber die Zuschauerzahlen stiegen schnell an als die Kletterer mit ihren Arbeiten begannen. Jeden Nachmittag, auf dem Weg nach Hause, parke ich den Wagen vor der Baustelle um den Fortgang der Arbeiten aus nächster Nähe zu beobachten und genoss das stärker werdende Gewimmel von Zuschauern. Was für ein Glück undwas für ein Privileg zu Beginn dieses Sommers hier zu sein und das Spektakel dieser Transformation begleiten zu dürfen. Rund um die Baustelle versammelten sich täglich mehr neugierige Leute und Fans, die sich hier täglich trafen, um zu beobachten, zu plaudern oder die Änderungen zu kommentieren. Viele Schaulustige machten es wie ich selber und fingen an den Rasenplatz vor dem Parlament tagsüber und auch nachts aufzusuchen.

Am 24 Juni 1995 hatte sich das Parlament in ein gigantisches Kunstwerk verwandelt: Verhüllt, gefesselt und verschnürt. Und die neugierigen Zuschauer hatten das Umfeld in eine riesige Bühne verwandelt, als würden sie der größten Show dieses Sommers beiwohnen. In den Wochen des Aufbaus und den 2 Wochen, die die Verhüllung andauerte, gab es rund um das Gebäude ein bisschen von allem zu sehen: Flanierende Paare und Familien, Jugendliche, die sich im Park vor dem Gebäude mit ihren Freunden trafen, alternative Musikveranstaltungen, Picknicks mit der Familie oder Freunden auf dem Parlamentsrasen, Kleinkunstdarbietungen, Fotografen und Medienvertreter, die das Ereignis aufzeichneten und dokumentierten, und den ganzen Tag über Omnibusladungen voll Tagestouristen. Die Transformation des Gebäudes von 137 m Länge und 97 Metern Breite war beeindruckend: Ein Monument oder eine gigantische Freiluftskulptur.

Image: Motohakone 

Nach dem Fall der Mauer und der folgenden schwierigen Übergangsphase und den Anpassungen in finanzieller, sozialer und kultureller Hinsicht begannen die Deutschen über diese gigantische, verkleidete Struktur zu lächeln. Sechs Jahre nach der Wiedervereinigung des Landes war es, als ob die Trennung der beiden Deutschen Länder plötzlich in ferner Vergangenheit läge oder gar nie stattgefunden hätte.

Das Verpacken des Parlaments hätte auch mithilfe von Gerüsten und Baukränen durchgeführt werden können. Das war durch das Künstlerpaar jedoch nicht beabsichtigt. Vielmehr sollte der Prozess des Verpackens selbst als eine Art Aufführung für die Bewohner der Stadt und den Rest der Welt dienen. Und durch das Einwickeln mittels menschlicher Kletterer wurde die Aktion selbst zu einem monumentalen Ereignis künstlerischen Schaffens.

Die ursprünglichen Prognosen der Organisatoren von ca. 500.000 Besuchern wurden mehr als übertroffen, es kamen 5.000.000. An Wochenenden war es aufgrund der Menschenmassen fast unmöglich, sich der Installation zu nähern.

Christo und Jeanne-Claude waren an vielen Tagen selbst vor Ort, gaben Interviews und verfolgten die Arbeiten und ihre Auswirkungen auf die Stadtlandschaft, die Öffentlichkeit und die Medien.

2001 war ich wieder in Berlin. Es gab zu der Zeit eine Ausstellung über die beiden im Martin Gropius Bau mit frühen Arbeiten. Dadurch hat sich mir der Beginn und das Ziel der Verhüllungsarbeiten erschlossen. Christo und Jeanne-Claude begannen mit der Verpackung von Objekten, der Herstellung dieser Objekte selbst. Sie konstruierten Pakete, verpackten Bilder, verhüllten Strukturen und Bäume, deckten Schaufenster und Fassaden ab und präsentierten städtebauliche Projekte. Die Ausstellung dokumentierte 420 Arbeiten über den Zeitraum von 1958-1969.

Als Teilnehmer der Documenta in Kassel 1968 zeigten sie dort eine 85 Meter lange „Luftverpackung“, ähnlich einer gigantischen luftgefüllten Wurst. Die Fotodokumentation davon war Teil der Ausstellung über die frühen Arbeiten. Von da an sind unzählige städtebauliche Projekte entwickelt und realisiert worden.

Zu den bekanntesten Werke zählen “Wrapped Coast, Little Bay” in Sydney, Australien (1968-69), “Valley Curtain” in Colorado (1970-72) und “Running Fence” in Kalifornien (1972-76) ), “Surrounded Islands”, Miami (1980-83), “The Pont Neuf Wrapped”, Paris (1975-85), “The Umbrellas”, Japan und Kalifornien (1984-91), “Wrapped Reichstag” in Berlin (1972-95), “The Gates” im Central Park in New York (1979-2005), “The Floating Piers” am Iseo See in Italien (2014-16) und “The London Mastaba”, am Serpentine Lake in London.

Christo wurde 1935 im damals kommunistischen Bulgarien geboren und traf 1958 in Paris die in Französisch-Marokko am selben Tag wie er geborene Künstlerin Jeanne-Claude. Sie heirateten bald und Jeanne-Claude wurde seine ständige Mitarbeiterin und Begleiterin. Nach mehr als 50 Jahren Zusammenarbeit starb Jeanne-Claude im Jahr 2009. Christo gab die schon geplanten gemeinsam entwickelten Projekte jedoch nicht auf und man kann sagen, dass die Verpackung des Arc de Triumphe in Paris das vielleicht wichtigste noch von beiden autorisierte Projekt ist. Das in den 60iger Jahren konzipierte Werk beinhaltet die Verhüllung des Tors mit silbrig-blauem Polypropylen Stoff und roter Schnur. Ursprünglich geplant für 2020 wurde das Projekt aufgrund der aktuellen Pandemiekrise auf 2021 verschoben. Es wird auch den endgültigen Abschied von Christo markieren, der Anfang dieses Jahres gestorben ist.

Zu Ehren des Künstlerpaares wurden zwei Ausstellungen mit einer Retrospektive der Projekte von 1963 bis 2020 durchgeführt. Die erste findet aktuell im Palais Populaire in Berlin statt – Arbeiten aus der Sammlung Jochheim – und endet am 14. September 2020. Sie präsentiert die Fotos der Verhüllungen und Projekte, die von den Künstlern konzipiert und gestaltet wurden. Die zweite ist bis zum 19.10.2020 im Centre Pompidou in Paris zu sehen.